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Irrtümer und Mythen rund um Home Office und Mobile Work

April 2019 · Lesedauer: Min

  • Dr. Sebastian Maiß

1. Wann ist ein Home Office ein Home Office?

Die aktuelle Diskussion um mobiles Arbeiten zeigt einen grundlegenden Irrtum bei den verwendeten Begriffen. Eine Tätigkeit in einem »Home Office« liegt nur dann vor, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen festen Arbeitsplatz außerhalb des Betriebs einrichtet und dieser von dort aus tätig wird. Von »mobilem Arbeiten« spricht man hingegen, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gestattet, seine Arbeitsleistung (auch) außerhalb des Betriebs zu erbringen, ohne ihm einen festen Arbeitsplatz einzurichten. Mobiles Arbeiten kommt daher für solche Tätigkeiten in Betracht, bei denen der Arbeitnehmer nicht mehr als seinen Laptop oder ein anderes »mobiles« Arbeitsmittel benötigt. Diese mobile Arbeit ist nicht auf einen bestimmten Ort außerhalb des Betriebs beschränkt, sondern kann an jedem beliebigen Ort erfolgen (z.B. im Café oder auf Dienstreisen). In der Praxis findet man entgegen der aktuellen Diskussion daher regelmäßig »mobiles Arbeiten« und kein »Home Office« vor. Treffender ist es daher von »ortsungebundener Arbeit« zu sprechen.

2. Kann der Arbeitnehmer selbst darüber bestimmen, wann er von zuhause aus oder mobil arbeitet?

Nein. Ein gesetzlicher Anspruch »auf Home Office/Mobiles Arbeiten« besteht (derzeit) - anders als in den Niederlanden - nicht. Der Arbeitnehmer darf daher nur dann von zuhause aus oder mobil arbeiten, wenn ihm dies entweder arbeitsvertraglich, durch eine Betriebsvereinbarung oder durch den Arbeitgeber im Einzelfall gestattet ist. Bleibt er zuhause, ohne dass dies erlaubt ist, riskiert er eine Abmahnung. Ermöglichen Arbeitgeber eine Tätigkeit im Home Office oder mobiles Arbeiten, sollten sie sicherstellen, dass Arbeitnehmer bei Vorliegen betrieblicher Gründe (z.B. zur Teilnahme von Besprechungen) im Betrieb anwesend sein müssen.

3. Kann der Arbeitnehmer im Home Office seine Arbeitszeit selbst bestimmen?

Nein. Bei mobiler Arbeit geht es allein um eine Veränderung des Tätigkeitsortes und nicht um zusätzliche Freizeit. »Mobiles Arbeiten« ist für sich genommen kein Arbeitszeitmodell. Der Arbeitnehmer muss seine Arbeitsleistung daher in gleichem Umfang und in gleicher Qualität erbringen, als wenn er im Betrieb arbeiten würde. Eine Tätigkeit von zuhause ist daher nicht zu verwechseln mit einem halben Tag Urlaub oder Freizeitausgleich. Wer mobil arbeiten möchte, sollte sich daher selbst kritisch hinterfragen, ob er es ihm gelingt, die neu gewonnene (örtliche) Freiheit mit den Anforderungen des Berufes in Einklang zu bringen. Bei dem oft bemühten Beispiel der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie besteht das Risiko, dass man entweder dem Kind oder dem Arbeitgeber nicht gerecht wird. Und wenn der Arbeitnehmer auf den Lieferservice wartet? Auch dann muss sichergestellt sein, dass der Arbeitnehmer seine arbeitsvertragliche Leistung erbringen kann, beispielsweise für eine Telefonkonferenz zur Verfügung steht. Diese Dilemmata werden daher in der Regel nicht durch Regelungen zu mobilem Arbeiten gelöst, sondern nur durch flexible Arbeitszeitmodelle, die - in Abstimmung mit dem Arbeitgeber - einen Freizeitausgleich vorsehen. Hierfür haben sich in der Praxis beispielsweise Arbeitszeitkonten etabliert. Übrigens: Erkrankt ein Kind, hat der Arbeitnehmer unter Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen oftmals ohnehin das Recht zu Hause zu bleiben - ohne parallel arbeiten zu müssen.

4. Wenn ich mobil arbeite, kann ich arbeiten wie ich will

Ein Vorteil mobiler Arbeit wird häufig darin gesehen, dass Arbeitnehmer ihre beruflichen und privaten Interessen besser miteinander verbinden können. Also tagsüber 6 Stunden bis 16:00 Uhr ins Büro, dann 2 Stunden zum Sport und abends zuhause nochmal 2 Stunden bis 20:00 Uhr Mails checken. Auch hier müssen mehrere Punkte auseinandergehalten werden: Neben der Frage, ob der Arbeitnehmer überhaupt »flexibel« von zu Hause aus arbeiten darf, muss diese Tätigkeit auch im Einklang mit den arbeitszeitrechtlichen Vorschriften stehen. Denn es macht keinen Unterschied, ob der Arbeitnehmer im Beispielsfall nach dem Sport wieder zurück in den Betrieb fährt oder von zuhause aus arbeitet. Nach dem Arbeitszeitgesetz gilt Folgendes:

  • Die werktägliche Arbeitszeit darf höchstens acht Stunden betragen. Sie kann auf bis zu zehn Stunden ausgeweitet werden, wenn diese Differenz innerhalb von sechs Monaten oder 24 Wochen ausgeglichen wird. Arbeitet der Arbeitnehmer also in einer Fünf-Tage-Woche von montags bis freitags ist der Samstag der Ausgleichstag, so dass wöchentlich bis zu 48 Stunden gearbeitet werden kann. Die Höchstgrenze von zehn Stunden täglicher Arbeitszeit darf auch bei mobiler Arbeit nicht überschritten werden.

  • Nach Beendigung der werktäglichen Höchstarbeitszeit muss der Arbeitnehmer eine Ruhezeit von elf Stunden einhalten. Durch Tarifvertrag kann diese Ruhezeit auf neun Stunden reduziert werden, wovon bereits im Metallbereich Gebrauch gemacht wird.

  • Pausenzeiten sind auch während des mobilen Arbeitens einzuhalten. Sie dürfen weder einfach von dem Arbeitgeber abgezogen, noch an den Beginn oder das Ende der Arbeitszeit gelegt werden. Pausen dienen der Erholung des Arbeitnehmers zwischen der Arbeit.

5. Nur eben kurz ´ne Mail checken

Wie funktioniert dies aber in der Praxis? In unserem Beispielsfall endet die Arbeitszeit des Arbeitnehmers um 20:00 Uhr, so dass er morgens um 07:00 Uhr wieder arbeiten könnte. So weit so einfach. Was aber passiert, wenn der Arbeitnehmer um 23:00 Uhr noch eine E-Mail erhält und diese liest und bearbeitet? Handelt es sich bei dem Lesen der E-Mail um »Arbeitszeit«, hätte dies zur Konsequenz, dass sich die Ruhezeit von elf Stunden entsprechend verschiebt. Wann aber liegt »Arbeit« im Sinne des Arbeitszeitgesetzes vor? Die Rechtsprechung geht davon aus, dass dies dann der Fall ist, wenn der Arbeitnehmer eine Tätigkeit für den Arbeitgeber (also fremdnützig) erbringt und hierbei in gewisser Weise belastet wird. Eine zeitliche oder inhaltliche Geringfügigkeitsschwelle kennt das Arbeitszeitgesetz hingegen nicht. Und seien wir einmal ehrlich: Jeder kennt die Situation, dass eine Zweizeiler-E-Mail dazu führen kann, dass der Rest des Tages gelaufen ist. Die eigentlich zu stellende Frage ist daher, ob der Arbeitnehmer diese E-Mail überhaupt lesen (und beantworten) muss. Dies ist zum einen eine juristische Frage, nämlich Gegenstand der vertraglichen und betrieblichen Regelungen. Zudem: Wenn ich mich als Arbeitnehmer bereithalten muss, E-Mails des Arbeitgebers zu lesen, handelt es sich dann nicht auch um (vergütungspflichtige) Rufbereitschaft? Zum anderen ist es ein Führungsthema: Erwarte ich als Führungskraft von meinen Arbeitnehmern, dass sie abends noch für den Arbeitgeber erreichbar sind? Hier liegt der eigentliche Regelungsbedarf.   

6. Aus den Augen aus dem Sinn

Ebenfalls weit verbreitet ist der Irrtum, dass sich Arbeitgeber ihrer Verpflichtungen insb. nach dem Arbeitszeitgesetz und dem Arbeitsschutzgesetz »entledigen« können, wenn sie ihre Arbeitnehmer mobil arbeiten lassen. Dies ist ebenso falsch wie gefährlich:

  • Arbeitszeit: Der Arbeitgeber ist für die Einhaltung der Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes auch dann verantwortlich, wenn der Arbeitnehmer ortsungebunden arbeitet. Er hat zum einen die organisatorischen Voraussetzungen zu schaffen, dass die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes eingehalten werden, z.B. Pausen und Ruhezeiten. Zum anderen muss er auch bei einer ortsungebundenen Tätigkeit die über acht Stunden hinausgehende Arbeitszeit erfassen - und kontrollieren. Dies kann er allerdings auf den Arbeitnehmer delegieren. Handelt es sich um ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis, muss der Arbeitgeber sogar Beginn und Ende der Arbeitszeit erfassen. Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz können empfindliche Geldbußen zur Folge haben und die Arbeitsschutzbehörden auch dazu berechtigen, Anordnungen zu einer bestimmten Arbeitszeiterfassung zu veranlassen.

  • Arbeitsschutz: Die Unterscheidung zwischen Home Office und mobilem Arbeiten wird insbesondere beim Arbeitsschutz relevant. Richtet der Arbeitgeber ein Home Office ein, trägt er dafür Sorge, dass dieser Arbeitsplatz den Anforderungen des Arbeitsschutzes genügt. Hierfür muss er bei der erstmaligen Einrichtung dieses Arbeitsplatzes eine Gefährdungsbeurteilung durchführen, also Gefährdungen im Home Office ermitteln und abstellen. Übrigens: Ein Betreten der Wohnung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber ist grundsätzlich nicht erlaubt. Arbeitet der Arbeitnehmer mobil, sucht er sich dagegen seinen Arbeitsplatz selbst aus. Die Pflichten des Arbeitgebers hinsichtlich des Arbeitsschutzes beschränken sich hier auf die Unterweisung zu Sicherheitsrisiken und die Bereitstellung von Arbeitsmitteln, von denen keine Gefährdungen für den Arbeitnehmer ausgehen. Auch der Arbeitnehmer selbst ist gefordert: Er muss dem Arbeitgeber bestehende Risiken mitteilen. Zudem ist es dem Arbeitnehmer untersagt, unter erkennbar gesundheitsgefährdenden Umständen zu arbeiten.

7. Beim Kaffeemachen gestürzt

Und wie sieht es mit dem Unfallversicherungsschutz aus, wenn der Arbeitnehmer im Home Office oder während des mobilen Arbeitens einen Unfall erleidet? Nach der Rechtsprechung ist ein Unfall im Home Office nur dann versichert, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen dem zum Unfall führenden Geschehen und der betrieblichen Tätigkeit besteht. Zur Beurteilung dieser Frage ist die objektivierte Handlungstendenz des Versicherten wesentlich, also die Frage, ob der Versicherte im konkreten Einzelfall eine dem Arbeitgeber dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird. Ein Treppensturz auf dem Weg in der Wohnung zum Home Office ist daher regelmäßig versichert, das Kaffeemachen hingegen nicht. Im Zweifelsfall muss der Mitarbeiter den Nachweis führen, dass eine versicherte Tätigkeit vorlag. Aus diesem Grund empfiehlt sich entweder die Einbeziehung der Mitarbeiter in eine Gruppenunfallversicherung des Arbeitgebers oder aber die Empfehlung an die Mitarbeiter eine private Unfallversicherung abzuschließen, die auch Unfälle im Home Office oder während des mobilen Arbeitens absichert, die nicht von der gesetzlichen Unfallversicherung gedeckt sind.

8. Der Papierkorb als Datenleck

Last but not least: Die Themen Datenschutz und Datensicherheit machen nicht an der Unternehmenstür halt. Insbesondere bei der Einrichtung eines Home Office hat der Arbeitgeber die Gewährleistung der Datensicherheit sicherzustellen und zwar durch ein Datenschutz- / IT-Sicherheitskonzept, das auch geeignete technische und organisatorische Maßnahmen (TOM) vorsieht. Hierzu gehören beispielsweise die Verpflichtung des Arbeitnehmers, abschließbare Schränke bereitzuhalten, sich ins Internet nur über VPN- oder Tunnellösungen einzuloggen und Passwörter nicht frei zugänglich aufzubewahren. So banal es klingt: Hierzu gehört auch, dass Ausdrucke mit betrieblichen Informationen nichts im Papierkorb im Home Office oder der Ablage bei Starbucks zu suchen haben. Wie groß insbesondere der Bedarf ist, im Hinblick auf die Vertraulichkeit betrieblicher Informationen bei mobil Arbeitenden ein stärkeres Problembewusstsein zu schaffen, lässt sich regelmäßig bei Fahrten in den Zügen der Bahn erleben, wenn auf Laptops ohne Sichtschutz gearbeitet oder unbefangen und lautstark geschäftliche Telefonate oder Gespräche mit mitreisenden Kollegen geführt werden.

9. Fazit

Ein gesetzlicher Anspruch, ortsungebunden Arbeiten zu können, ist weder erforderlich noch sinnvoll. Die bestehenden gesetzlichen Regelungen sehen ausreichend Gestaltungsspielräume für Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor. Wichtiger ist es, dass sich Unternehmen nicht an Begrifflichkeiten aufhängen, sondern Lösungen schaffen, die sowohl den operativen Erfordernissen als auch den Wünschen der Mitarbeiter gerecht werden. Es mag überraschen: Aber oftmals reden wir dann gar nicht mehr über mobiles Arbeiten sondern flexible Arbeitszeitsysteme und die Führungskultur im Unternehmen.   

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