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„Bitte fair verhandeln!“ - Neue Anforderungen für Aufhebungsverträge

September 2019 · Lesedauer: Min

Die Entscheidung des BAG vom 7. Februar 2019

Aufhebungsverträge sind im Arbeitsrecht ein wichtiges und sicheres Mittel, um Arbeitsverhältnisse oder sonstige Dienstverhältnisse zu beenden. Bislang galt diesbezüglich weitgehend Abschluss- und Vertragsfreiheit. Eine neue Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 07.02.2019 (6 AZR 75/18) stellt nun weitere (im Detail neue) Anforderungen für den Abschluss von Aufhebungsverträgen auf, die für die Wirksamkeit von Aufhebungsverträgen zwingend zu beachten sind – insbesondere das Gebot fairen Verhandelns.

Der Fall – Hintergrund der Entscheidung
Eine Reinigungskraft schloss in ihrer Wohnung (angeblich arbeitsunfähig erkrankt) mit einem Vertreter des Arbeitgebers einen Aufhebungsvertrag, der eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Abfindung vorsah. Details und Ablauf der Vertragsverhandlungen sind umstritten, insbesondere, ob und wie Druck auf die Arbeitnehmerin ausgeübt wurde. Sodann hat die Mitarbeiterin den Aufhebungsvertrag wegen Irrtums, arglistiger Täuschung und widerrechtlicher Drohung angefochten und hilfsweise widerrufen, mit der Begründung, es läge ein (per Gesetz widerrufliches) Haustürgeschäft vor.

Die Entscheidung – Zusammenfassung der Entscheidung
Zwar ging das Bundesarbeitsgericht (BAG) ebenso wie die Vorinstanzen davon aus, dass kein Anfechtungsgrund vorliegt und auch ein Widerruf des Aufhebungsvertrages nicht in Betracht komme. Insbesondere finden die Regelungen über das Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften keine Anwendung. Ein „Haustür-Widerrufsrecht“ gibt es daher für Aufhebungsverträge nicht. Dies war es dann aber auch schon mit den für Arbeitgeber guten Nachrichten: Denn das BAG beanstandete überraschend, dass die Vorinstanzen nicht geprüft haben, ob das „Gebot fairen Verhandelns“ vor Abschluss des Aufhebungsvertrages eingehalten und beachtet wurde; dies könne Auswirkungen auf die Wirksamkeit des Aufhebungsvertrags haben.

Sodann verwies das BAG die Sache zwar zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurück, da es an wesentlichen Feststellungen für die Frage fehlte, ob das Gebot fairen Verhandelns vorliegend verletzt war.

Jedoch fasste das BAG bereits einige Grundsätze für das Gebot fairen Verhandelns zusammen, die künftig stets beachtet werden müssen:

Das Gebot fairen Verhandelns
Das Gebot fairen Verhandelns ist eine Nebenpflicht im Zusammenhang mit Anbahnung und Abschluss von Verträgen, also auch Aufhebungsverträgen. Es geht dabei nicht um die Kontrolle des Inhalts des Aufhebungsvertrages, sondern ob in unzulässiger Weise auf die Entscheidungsfreiheit bei den Vertragsverhandlungen Einfluss genommen und damit das Verhandlungsgleichgewicht gestört wurde. Ob eine solche unfaire Verhandlungssituation vorliegt, könne zwar nicht in einem Katalog abschließend definiert werden, sondern ist stets anhand der Umstände des Einzelfalles zu bestimmen. Dies sei beispielsweise der Fall, wenn:

  • die Vertragsverhandlungen zu ungewöhnlichen Zeiten oder an ungewöhnlichen Orten stattfinden (z.B. Nachts, in den Umkleideräumen/Toiletten),

  • eine Verhandlungssituation herbeigeführt oder ausgenutzt wird, die ausgewogene und gleichberechtigte Verhandlungen erschwert oder unmöglich macht (z.B. denkbar bei Vorenthalten/Verweigern von relevanten Informationen, Verweigern von Beistand),

  • eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners erheblich einschränkt oder unmöglich macht (z.B. unterschwellige Drohungen d.h. auch unterhalb der Schwelle einer zur Anfechtung berechtigenden Drohung, erheblicher zeitlicher oder sonstiger Entscheidungsdruck),

  • besonders unangenehme Rahmenbedingungen für die Verhandlungen geschaffen werden, die erheblich ablenken oder gar „den Fluchtinstinkt wecken“ (denkbar z.B. bei einer „Verhör-Situation“ oder einer zahlenmäßig deutlichen und vielfachen Übermacht des Verhandlungspartners),

  • objektiv erkennbare körperliche oder psychische Schwächen (z.B. bei schweren Erkrankungen/Behinderungen, die die Entscheidungsfreiheit beeinträchtigen) oder Defizite oder aber unzureichende Sprachkenntnisse zum Nachteil des Arbeitnehmers ausgenutzt werden (z.B. kein Zurverfügungstellen von Übersetzungen), oder

  • der Arbeitnehmer auf sonstige Weise „überrumpelt“ oder „überrascht“ wird (z.B. bewusste Falschangabe zum Inhalt eines anberaumten Personalgesprächs).

Wenn hiernach ein schuldhafter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns vorliegt, so ist der Aufhebungsvertrag in der Regel unwirksam. Arbeitgeber werden die vorstehenden Leitlinien zum „fairen Verhandeln“ künftig bei Vorbereitung und Abschluss von Aufhebungsverträgen zu beachten haben. Zwar legt das BAG ebenfalls dar, dass allein bei:

  • fehlendem Einräumen einer Bedenkzeit oder eines Rücktritts- oder Widerrufsrechts,

  • fehlender Ankündigung eines Angebots bzw. Personalgesprächs zu einer Aufhebungsvereinbarung,

im Regelfall das Gebot fairen Verhandelns noch nicht verletzt ist, jedoch ist nicht auszuschließen, dass das BAG auch diese Umstände in Zusammenschau mit weiteren Umständen als einen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns ansehen könnten. Daher sollten Arbeitgeber vorsorglich auch diese Gesichtspunkte im Auge behalten.

Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung des BAG ist eine Grundsatzentscheidung und voraussichtlich der Beginn einer Reihe weiterer präzisierender Entscheidungen hierzu. Das Gebot fairen Verhandelns ist essentiell und zwingend von Arbeitgebern, deren Personalabteilungen und Beratern zu beachten.

Das Urteil des BAG gibt Arbeitnehmern, die im Nachgang eines Aufhebungsvertrages die „Vertragsreue“ packt, ein durchaus scharfes Schwert, um bislang rechtssicher geglaubte Aufhebungsverträge nachträglich anzugreifen oder gar „nachzuverhandeln“. Vor diesem Hintergrund müssen Arbeitgeber für Umstände sorgen, die ein faires Verhandeln eines Aufhebungsvertrages für den Arbeitnehmer ermöglichen und jeglichen Anschein unzulässiger Einflussnahme auf die Entscheidungsfreiheit vermeiden.

Es geht, wie das BAG auch betont, nicht darum, besonders „angenehme“ Verhandlungsumstände zu schaffen, aber jedenfalls muss ein „Mindestmaß an Fairness“ gewährleistet werden und es ist zu vermeiden, „psychische Drucksituationen zu schaffen oder auszunutzen“, die eine freie und überlegte Entscheidung des Arbeitnehmers für oder gegen den Aufhebungsvertag erschwert oder gar unmöglich macht. Wird das Gebot fairen Verhandelns verletzt, ist der Aufhebungsvertrag schlicht unwirksam und das Arbeitsverhältnis zu den bisherigen Bedingungen fortgesetzt.

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