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#BetrVGZweiPunktNull JETZT

März 2020 · Lesedauer: Min

Die Betriebsratsarbeit muss umgehend rechtssicher digitalisiert werden

In der aktuellen Corona-Krise arbeiten Arbeitgeber und Betriebsräte und ihre Berater seit Tagen ununterbrochen daran, Lösungen für die betroffenen Unternehmen zu finden. Telefon- und Videokonferenzen und die Nutzung von Kollaborationstools sind dabei angesichts von Reisebeschränkungen und eindringlichen Appellen, Arbeit von zuhause zu erledigen, unverzichtbar. Betriebsräte hingegen, die daher auch digital tätig werden müssen, sehen sich einer seit Jahren gesetzgeberisch nicht beachteten Rechtsunsicherheit entgegen. Die Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes hierzu sind schlicht uneindeutig und „digital-feindlich“.

Am 20. März 2020 veröffentlichte die dpa nun, dass Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) davon ausginge, dass

in der aktuellen Lage (…) auch die Teilnahme an einer Betriebsratssitzung mittels Video- und Telefonkonferenz (…) zulässig ist.

Auch Beschlüsse, die in einer virtuellen Sitzung gefasst würden, seien nach Auffassung des Ministeriums für Arbeit und Soziales wirksam (https://www.krankenkassen.de/dpa/298669.html).

Am 23. März 2020 bestätigte Minister Heil nochmals seine Position und wiederholte, dass das Ministerium die Nutzung von Tools wie WebEx, Skype oder dann auch Teams, Zoom etc. für zulässig hielte (https://www.bmas.de/DE/Presse/Meldungen/2020/arbeit-der-betriebsraete-unterstuetzen.html).

Dies kann angesichts der Risiken, welche mit unwirksamen Beschlüssen für Arbeitgeber und Betriebsräte einhergehen, nur begrenzt beruhigen. Um für Klarheit zu sorgen ist es vielmehr JETZT an der Zeit, dass der Gesetzgeber kurzfristig das BetrVG auf das Jahr 2020 „updated“ – gerade auch weil derzeit nicht sicher gesagt werden kann, wann wir zur Normalität zurückkehren können. Dass auch diese Normalität von einem solchen Update profitieren würde, kommt noch hinzu.

Wie geht man mit der aktuellen rechtlichen Situation um?

Ausstattung des Betriebsrats mit digitalen Arbeitsmitteln

Der Arbeitgeber ist nach dem BetrVG verpflichtet, dem Betriebsrat in erforderlichem Umfang Informations- und Kommunikationstechnologie zur Verfügung zu stellen. Entscheidend ist, ob die technischen Hilfsmittel für die Erledigung von Betriebsratsaufgaben erforderlich sind, wobei die konkreten betrieblichen Verhältnisse zu berücksichtigen sind. Umsichtige Arbeitgeber haben bereits pragmatisch gehandelt und Betriebsräte mit der notwendigen Technik und dem Zugriff auf Kollaborationstools ausgestattet. Pragmatische Betriebsräte sollten zugleich im Schnellverfahren die weitreichende Mitbestimmung bei technischen Einrichtungen nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ausüben und mit dem Arbeitgeber Betriebsvereinbarungen schließen, damit jetzt dringend benötigte Tools unverzüglich eingeführt werden können.

Digitale Kommunikation und Arbeit mit dem Betriebsrat

Das BetrVG enthält grundsätzlich keine Vorgaben zur Art und Weise der internen Kommunikation des Betriebsrats. Diese kann somit auch digital erfolgen. Dies entspricht der täglichen Praxis. Die laufende Kommunikation mit dem Arbeitergeber kann ebenso digital erfolgen. Bei der Mitbestimmung in sozialen und wirtschaftlichen Angelegenheiten ist ein digitaler Austausch von Informationen möglich.

Gleiches gilt überwiegend im Bereich der Mitbestimmung in personellen Angelegenheiten, so dass etwa für die Zustimmung des Betriebsrats zu beabsichtigten personellen Einzelmaßnahmen sowie für die Zustimmung im Rahmen der Anhörung vor Kündigungen nach § 102 BetrVG; die diesbezügliche Kommunikation kann z.B. per Mail erfolgen. Aus Beweis- und Dokumentationsgründen sollte bei der Anhörung und Zustimmung auf eine verlässliche, dauerhafte und vor allem datenschutzgerechte Dokumentation geachtet werden. Die Verweigerung der Zustimmung des Betriebsrats zu einer personellen Einzelmaßnahme gemäß § 99 Abs. 3 BetrVG, Bedenken gegen eine Kündigung und der Widerspruch gegen eine ordentliche Kündigung (siehe § 102 Abs. 2 u. 3 BetrVG) bedürften zwar einer schriftlichen Mitteilung. Hierfür genügt allerdings auch die Textform i.S.d. § 126b BGB, so dass eine Verweigerung auch mittels E-Mail rechtswirksam erfolgen kann.

Virtuelle Betriebsratssitzung und Beschlussfassungen per Telefon und Video

In Zeiten des Coronavirus ist die Frage der rechtlichen Zulässigkeit virtueller Betriebsratssitzungen und Beschlussfassungen von besonderer Bedeutung. Ein Beschluss zu einer Betriebsvereinbarung über die Einführung von Maßnahmen zur Stabilisierung eines Unternehmens, z.B. die Einführung von Kurzarbeit oder auch Beschlüsse zu einem Interessenausgleich oder einem Sozialplan müssen für beide Seiten rechtssicher gefasst werden können. Dies ist aktuell rechtssicher nur in einer Präsenzsitzung möglich.

Gleichzeitig trifft den Arbeitgeber aber auch eine Fürsorgepflicht, so dass er für den Schutz seiner Mitarbeiter und damit auch der Betriebsräte vor dem Coronavirus Sorge zu tragen hat. Nicht zuletzt können auch behördlich angeordnete Ansammlungsverbote oder gar Ausgangsbeschränkungen das Abhalten einer Betriebsratssitzung und dortigen Beschlussfassung verhindern. Die Zulässigkeit von Telefon- und Videokonferenzen würde diesen Umständen zweifelsohne gerecht werden. Das Bundesarbeitsministerium scheint dies jedenfalls jetzt, da kein „Normalfall“ vorliegt, für zulässig zu halten.

Telefonkonferenzen

Nach bisheriger überwiegender Rechtsauffassung sind Telefonkonferenzen kein geeignetes Mittel für Betriebsratssitzungen und Beschlussfassungen. Angeführt werden hier Verstöße gegen die Anwesenheitspflicht und gegen den Nichtöffentlichkeitsgrundsatz sowie die beschränkte Möglichkeit, Identitäten der Teilnehmer zu prüfen. Diese Argumente sind zweifelsfrei nicht gänzlich zu widerlegen. Allerdings kann z.B. Nicht-Öffentlichkeit jedenfalls durch die Nutzung von „gesicherten“ Konferenzräumen einigermaßen gewahrt bleiben. Rechtssicherheit besteht hier jedoch nicht – auch nicht aufgrund der Ministererklärung vom 23. März 2020.

Videokonferenzen

Etwas anders ist die Rechtslage nach unserer Auffassung bei Videokonferenzen. Schon unabhängig von dem derzeitigen Ausnahmezustand sprechen gewichtige Argumente für eine Zulässigkeit virtueller Betriebsratssitzungen und Beschlussfassungen: Zeit- und (kosten)intensive sowie derzeit risikoreiche Reisen und Übernachtungen könnten entfallen, kurzfristige Beschlussfassung wird ermöglicht. Der rechtlichen Zulässigkeit stehen indes die vom BetrVG verlangte und bereits erwähnte körperliche Anwesenheit (§ 33 Abs. 1 S. 1 BetrVG) sowie der Nichtöffentlichkeitsgrundsatz (§ 30 S. 4 BetrVG) entgegen. Der Meinungsstand über die Zulässigkeit virtueller Betriebsratssitzungen und Beschlussfassungen ist vielfältig; eine höchstrichterliche Entscheidung existiert bisher nicht.

  • I. Wortlaut des § 33 Abs. 1 S. 1 BetrVG („anwesende Mitglieder“)
    Dem Wortlautargument des § 33 Abs. 1 S. 1 BetrVG („anwesende Mitglieder“) und dem Umkehrschluss daraus, dass der Gesetzgeber mit § 41a EBRG die Nutzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologie zur Gewährleistung der Teilnahme an Betriebsratssitzungen eines Europäischen Betriebsrats ausdrücklich (nur) für Besatzungsmitglieder von Seeschiffen zugelassen hat, kommt freilich eine nachvollziehbare Argumentationslinie zu. Es darf aber nicht verkannt werden, dass der Gesetzgeber des BetrVG 1952 die Möglichkeit jedenfalls von Live-Videokonferenzen nicht kannte, es auch in anderen Gesetzen zu einer Lockerung der Regelung zur Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologie gekommen ist (nach § 108 Abs. 4 AktG kann der Aufsichtsrat Beschlüsse per Videokonferenz fassen) Die reine Wortlautbetrachtung wird auch dem Sinn und Zweck der „Anwesenheit“ der Mitglieder nicht gerecht. Es soll sichergestellt werden, dass die kollektive Willensbildung des Gremiums im Rahmen eines wechselseitigen Austauschs erfolgt. Anders als bei einer Telefonkonferenz würde auch gerade die bei einem Diskurs wichtigen körperlichen Kommunikationssignale bei einer Videokonferenz wahrgenommen werden können. Mittels elektronischer Signatur in Form der Mehrfachsignatur könnten die Teilnehmer dem Erfordernis der eigenhändigen Eintragung in die Anwesenheitsliste der Betriebsratssitzung nach § 34 Abs. 1 S. 3 BetrVG nachkommen.

    Dem Umkehrschlussargument des § 41a EBRG kann entgegengehalten werden, dass dessen abschließender Charakter zu einer Ungleichbehandlung führen würde. Es ist nämlich nicht verständlich, dass die Besatzungsmitglieder von Seeschiffen digital an Betriebsratssitzungen teilnehmen können, während dies Besatzungsmitgliedern von Langstreckenflugzeugen oder sonstigen, sich in anderen Ländern dienstlich aufhaltenden Betriebsratsmitgliedern verwehrt wird. § 41a EBRG ist daher richtigerweise mehr als gesetzgeberischer Wille zur Lockerung des nicht mehr zeitgemäßen Betriebsverfassungsrechts zu sehen.

  • II. Nichtöffentlichkeitsgrundsatz, § 30 S. 4 BetrVG
    Der Zulässigkeit virtueller Betriebsratssitzungen wird zudem entgegengehalten, dass unbefugte Dritte leichter Zugang zur Sitzung erlangen, sich z.B mittels technischer Hilfen in die Videokonferenz unbemerkt mit einwählen oder einem Teilnehmer analog zuhören könnten, ohne dass dies von den restlichen Teilnehmern bemerkt werden würde. Dies überzeugt indes nicht: Auch bei einer analogen Sitzung können sich in den Räumlichkeiten unbemerkt unbefugte Dritte aufhalten, es kann schlicht an der Tür gelauscht werden oder es könnten Aufnahmen mittels Smartphones oder Aufnahmegeräten getätigt werden. Das Risiko des Öffentlichwerdens einer per Videokonferenz abgehaltenen Sitzung ist daher nicht, jedenfalls nicht ungleich höher. Freilich muss dafür Sorge getragen werden, dass die Teilnehmer der Videokonferenz eine Beteiligung unberechtigter Dritter verhindern und dass die eingesetzte Technik einen unbefugten Zugriff auf die Videoübertragung ausschließt.

Die gegen die Zulässigkeit virtueller Betriebsratssitzungen und Beschlussfassung angeführten Argumente überzeugen daher jedenfalls für Videokonferenzen nicht.

Gleichwohl kann in der Praxis eine Durchführung einer Betriebsratssitzung und Beschlussfassung auch über Videokonferenzen nicht als risikofrei empfohlen werden; zu groß ist die Vielfalt der Meinungen und die damit einhergehende Gefahr der richterlichen Unwirksamkeitserklärung eines Betriebsratsbeschlusses. Die Folge eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit ist nämlich grundsätzlich die Unwirksamkeit des Beschlusses. Es bedarf daher JETZT zusätzlich zu den Ministererklärungen zwingend einer gesetzgeberischen Klarstellung – bestenfalls im Sinne der Zulässigkeit virtueller Betriebsratssitzungen und Beschlussfassungen.  

Abschluss von Betriebsvereinbarungen und ähnlicher Vereinbarungen

Nach herrschender Ansicht und Gesetzeslage müssen Betriebsvereinbarungen weiterhin schriftlich abgeschlossen werden. Gemäß § 77 Abs. 2 S. 2 sind Betriebsvereinbarungen von beiden Parteien zu unterzeichnen. Auch Interessenausgleich und Sozialplan müssen schriftlich niedergelegt werden. Hier müssen Arbeitgeber und Betriebsräte derzeitig bis zu einer Änderung der Gesetzeslage also weiterhin Dokumente per Kurier oder Express-Post austauschen. Dies erscheint handhabbar.

Virtuelle Betriebsversammlung und Sprechstunden

Auch bezüglich der Zulässigkeit von virtuellen Betriebsversammlungen geht das Meinungsspektrum auseinander. Auch hier wird vertreten, der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit einer Betriebsversammlung (§ 42 Abs. 1 S. 2 BetrVG) stehe der Virtualisierung entgegen. Insoweit gilt das zur – angeblichen – Unvereinbarkeit des Nichtöffentlichkeitsgrundsatzes mit der Zulassung virtueller Betriebsratssitzungen Festgestellte entsprechend. Wenn die Beteiligten entsprechende technische und physische Vorkehrungen zur Wahrung der Nichtöffentlichkeit treffen, ist das Risiko einer Teilnahme Unbefugter im Vergleich zu einer analogen Betriebsversammlung nicht erhöht. Insbesondere bei großen Betriebsversammlungen in öffentlichen Veranstaltungsräumen besteht die Gefahr der unbemerkten Teilnahme Unbefugter mindestens im selben Umfang. Gerade in der aktuellen Krise braucht es einer funktionierenden Kommunikation des Betriebsrates mit den von ihm vertretenen Arbeitnehmern. Hier ist gleichermaßen eine gesetzgeberische Klarstellung JETZT dringend geboten.

Die nach § 39 BetrVG möglichen Sprechstunden des Betriebsrats für Mitarbeiter während der Arbeitszeit können auch mittels Videokonferenz durchgeführt werden; der Betriebsrat kann frei über die Form der Sprechstunden entscheiden.

#BetrVGZweiPunktNull JETZT
Es hat sich gezeigt, dass das BetrVG in vielen Bereichen durchaus die digitale Betriebsratsarbeit ermöglicht. Erhebliche Unsicherheit besteht diesbezüglich aber für die Bereiche virtueller Betriebsratssitzungen, Beschlussfassungen und Betriebsversammlungen. Es bedarf daher einer umgehenden gesetzgeberischen Klarstellung, die über die Erklärung von Bundesarbeitsminister Heil vom 23. März 2020 hinausgeht. Der Gesetzgeber sollte – ähnlich wie in § 41a EBRG oder in § 108 IV AktG – die Zulässigkeit virtueller Betriebsratssitzungen, Beschlussfassungen und Betriebsversammlungen ausdrücklich festlegen. Die Formulierungen finden sich ja bereits in den Gesetzen.

Der Ruf hiernach wird immer lauter. Hervorzuheben ist hierbei z.B. die Initiative des Bundesverbandes der Arbeitsrechtler in Unternehmen (https://www.bvau.de/pressemitteilungen). Auch wir haben bereits vor über einem Jahr diese Problematik hier thematisiert (Arbeitswelt 4.0).

Wir sehen derzeitig verunsicherte Betriebsräte, die nicht wissen, wie sie derzeitig noch arbeiten sollen. Dies lähmt Entscheidungen, die die Unternehmen aber jetzt schnell brauchen. Es muss eine effektive Arbeitnehmervertretung und auch ein angemessener Gesundheitsschutz gewährleistet werden.

Dass der Gesetzgeber zu schnellen Maßnahmen zur Unterstützung von Unternehmen, die von den Auswirkungen des Coronavirus betroffen sind, fähig ist, hat er mit den kurzfristigen Anpassungen der Regelungen zum Erhalt von Kurzarbeitergeld bewiesen. Es wäre wünschenswert, wenn der Gesetzgeber diese Agilität beibehält und die Virtualisierung von Betriebsratssitzungen, Beschlussfassungen und Betriebsversammlungen jetzt umsetzt.

*Der Beitrag wurde von Jan-Ove Becker in Zusammenarbeit mit unserem wissenschaftlichen Mitarbeiter Lukas Heber erstellt.

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