Menü

Betriebsvereinbarungsoffene Arbeitsverträge – ja oder nein?

April 2018 · Lesedauer: Min

Ein Blick auf die Entwicklung der Rechtsprechung des BAG und Ausblick

Generelle Ablösung vertraglicher Regelungen durch Betriebsvereinbarung – was gilt denn nun? Das BAG lässt diese Frage nunmehr offen, lehnt dies für die Vergütung nach tariflichen Grundsätzen aber ab.

1. Ausgangspunkt
In einem viel diskutierten Urteil entschied das Bundesarbeitsgericht am 05.03.2013 (1 AZR 417/12), dass mittels einer Betriebsvereinbarung individualvertragliche Regelungen auch zum Nachteil des Arbeitnehmers abgeändert werden können. Dies überraschte. Denn im Falle kollidierender Regelungen unterschiedlichen Rangs – vorliegend also auf den Ebenen des Arbeitsvertrags und der Betriebsvereinbarung – gilt das Günstigkeitsprinzip. Folge ist, dass sich die für den Arbeitnehmer günstigeren Regelungen auch gegenüber den ungünstigeren Regelungen höheren Rangs durchsetzen.

Das Günstigkeitsprinzip ist jedoch nicht anwendbar, wenn der Arbeitsvertrag eine (ausdrückliche) Öffnungsklausel zu Gunsten einer höherrangigen kollektivrechtlichen Regelung enthält. Das Bundesarbeitsgericht hat dies in seinem Urteil vom 05.03.2013 (1 AZR 417/12) sogar im Falle einer „stillschweigenden“ Öffnungsklausel angenommen. Ein solche liege vor, wenn der jeweilige Vertragsgegenstand in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (nachfolgend AGB) enthalten sei und einen kollektiven Bezug habe.

Im konkreten Fall war im Arbeitsvertrag des klagenden Arbeitnehmers keine Altersgrenze vereinbart; das Arbeitsverhältnis galt auf unbestimmte Zeit. In einer später abgeschlossenen und auf den Kläger anwendbaren Betriebsvereinbarung war jedoch eine Altersgrenze enthalten. Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers aufgrund der in dieser Betriebsvereinbarung enthaltenen Altersgrenze endete.

Die Beratungspraxis begrüßte diese Entscheidung: Sie eröffnet Arbeitgebern die Möglichkeit, zahlreiche Arbeitsverträge durch den Abschluss einer Betriebsvereinbarung „auf einmal“ nachträglich anzupassen, und zwar auch zum Nachteil der Arbeitnehmer. Voraussetzung hierfür ist lediglich, dass der konkrete Vertragsgegenstand als AGB zu qualifizieren ist und einen kollektiven Bezug aufweist.

2. Danach: Bestätigung dieser Rechtsprechung
Es handelte sich nicht um eine Einzelfallentscheidung. Denn das Bundesarbeitsgericht bestätigte diese Rechtsprechung in den folgenden Jahren gleich mehrfach, so beispielsweise im Bereich individualrechtlicher Zusagen betrieblicher Altersversorgung für Gesamtzusagen (BAG, Urt. v. 10.03.2015, 3 AZR 56/14) sowie betriebliche Übungen (BAG, Urt. v. 23.02.2016, 3 AZR 44/14). Anschließend bestätigte das Bundesarbeitsgericht die Betriebsvereinbarungsoffenheit einer Gesamtzusage erneut, diesmal bezüglich einer Jubiläumszuwendung (BAG, Urt. v. 24.10.2017, 1 AZR 846/15).

3. Nun: Dynamische Bezugnahmeklausel ist nicht betriebsvereinbarungsoffen
Jüngst hat der 4. Senat des Bundesarbeitsgerichts jedoch entschieden, dass eine dynamische Bezugnahmeklausel in einem Arbeitsvertrag nicht durch eine Betriebsvereinbarung zum Nachteil des Arbeitnehmers abgeändert werden kann (BAG, Urt. v. 11.04.2018, 4 AZR 119/17).

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt hatten die Parteien in einer Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag mittels einer dynamischen Bezugnahmeklausel die Vergütung entsprechend des BAT beziehungsweise des TVöD/VKA vereinbart. Im Anschluss daran schlossen die Betriebsparteien eine die Vergütung des Klägers abändernde Betriebsvereinbarung. Der Kläger war der Auffassung, ihm stehe aufgrund der arbeitsvertraglichen Bezugnahme Vergütung nach dem TVöD/VKA zu.

Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts vermochte die Betriebsvereinbarung die zuvor arbeitsvertraglich vereinbarte Vergütung nicht abzuändern. Denn ungeachtet der Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung unterlag die arbeitsvertragliche Vergütungsabrede nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts bereits deshalb nicht der Abänderung durch eine kollektivrechtliche Regelung, weil es sich dabei nicht um eine AGB, sondern um eine individuell vereinbarte, nicht der AGB-Kontrolle unterworfene Regelung der vertraglichen Hauptleistungspflicht handelte.

Damit hat das BAG klargestellt, dass arbeitsvertragliche Vergütungsregelungen jedenfalls dann nicht betriebsvereinsbarungsoffen sind, wenn diese (1.) keine AGB darstellen und (2.) eine Hauptleistungspflicht regeln, die grundsätzlich nicht der Angemessenheitskontrolle unterliegt.

Bedauerlicherweise konnte das Bundesarbeitsgericht aufgrund dieser Argumentation die von dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf als Vorinstanz aufgeworfene Frage der – generellen – Betriebsvereinbarungsoffenheit von AGB in Arbeitsverträgen ausdrücklichen offen lassen. Im Gegensatz zum Bundesarbeitsgericht hatte das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Urt. v. 25.10.2016, 8 Sa 500/16) die dynamische Bezugnahmeklausel nämlich als AGB qualifiziert und in konsequenter Anwendung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom 05.03.2013 (1 AZR 417/12) die Betriebsvereinbarungsoffenheit der Vergütungsabrede angenommen.

4. Ausblick
In der Praxis bleibt aus Arbeitgebersicht die ausdrückliche Vereinbarung von Öffnungsklauseln zugunsten einer Betriebsvereinbarung das Mittel der Wahl, um individualvertragliche Zusagen durch eine Betriebsvereinbarung ändern zu können.

Zwar stellt die jüngste Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (noch) keine Abkehr von seiner vorangehenden Rechtsprechung dar. Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass der 4. Senat die (generelle) Betriebsvereinbarungsoffenheit abweichend von den anderen Senaten beurteilen wird. Falls ja, müsste diese Frage vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts entschieden werden.

Newsletter abonnieren