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Erfreuliche Klarstellung durch das Bundesarbeitsgericht: Ein „Stolperstein“ weniger

August 2022 · Lesedauer: Min

Wirksame Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG auch bei Fehlen der Soll-Angaben

Zuletzt hatte das LAG Hessen den Arbeitgebern die Pflicht auferlegt, neben den nach dem Gesetz zwingenden Muss-Angaben auch die sog. „Soll“-Angaben in die Massenentlassungsanzeige aufzunehmen – wir berichteten dazu (Neue Stolpersteine im Massenentlassungsrecht)

Erfreulicherweise hat nun das Bundesarbeitsgericht zumindest diese Hürde wieder aus dem Weg geräumt. Das Urteil, welches nun auch im Volltext veröffentlicht wurde, macht erfrischend deutlich, dass das LAG Hessen (18. Juni 2021 – 14 Sa 1228/20) in seinem Urteil mit seiner richtlinienkonformen Auslegung über den gesetzgeberischen Willen weit hinaus gegangen ist. Das Bundesarbeitsgericht hob die Entscheidung des LAG Hessen auf und entschied, dass ein Fehlen der Soll-Angaben nach § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG nicht zur Unwirksamkeit einer Massenentlassungsanzeige des Arbeitgebers gegenüber der Agentur für Arbeit führt (19.05.2022 - 2 AZR 467/21).

Keine Unwirksamkeit bei Fehlen der Soll-Angaben
Massenentlassungen haben eine enorme wirtschaftliche Tragweite. Eine fehlerhafte Massenentlassungsanzeige kann zur Unwirksamkeit aller Kündigungen führen. Mit dem ursprünglichen Zweck der Massenentlassungsanzeige – nämlich der Vorbereitung der Agentur für Arbeit auf eine Vielzahl von Arbeitssuchenden – hat das Verfahren jedoch nichts mehr zu tun.

Gemäß § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG „sollen“ der Massenentlassungsanzeige neben den Pflichtangaben weitere persönliche Daten der betroffenen Arbeitnehmer mitgeteilt werden, nämlich Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit. In den entsprechenden Formularen der Bundesagentur für Arbeit (welche im Übrigen über den Wortlaut des Gesetzes hinaus auch Wohnort, Arbeitszeit und „besondere Merkmale“ wie Schwerbehinderung oder den Status „alleinerziehend“ abfragen) wurden diese Angaben stets als „freiwillig“ bezeichnet.

Nachdem das LAG Hessen diese Angaben im vergangenen Jahr kurzerhand verpflichtend machte, stellte das BAG nun die bisherige Praxis wieder auf rechtlich sichere Beine. Eines Vorabentscheidungsverfahren bei EuGH bedurfte es hierfür nicht. Es urteilte stattdessen, dass § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG nach dem im Gesetzeswortlaut, in der Gesetzessystematik und in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gebrachten Willen des - nationalen - Gesetzgebers eindeutig nicht als Wirksamkeitsvoraussetzung für die Massenentlassungsanzeige ausgestaltet ist. Über diese gesetzgeberische Entscheidung dürfen sich die nationalen Gerichte auch nicht im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung hinwegsetzen. Die Pflicht zur Verwirklichung eines (vermeintlichen) Richtlinienziels dürfe nicht als Grundlage für eine Auslegung des nationalen Rechts „contra legem“ dienen. Das Bundesarbeitsgericht macht dabei im vorliegenden Urteil deutlich, dass die nationalen Gerichte mit einer „Uminterpretation“ von § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG in eine kündigungsrechtliche Mussvorschrift die Grenze zu einer „Ersatzgesetzgeber“ überschreiten würden.

Das Bundesarbeitsgericht führt dennoch weiter aus, dass eine richtlinienkonforme Auslegung vorliegend auch nicht geboten wäre. Durch die Rechtsprechung des EuGH sei bereits geklärt, dass die in § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG vorgesehenen Angaben nicht gemäß Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 der Massenentlassungsrichtlinie in der Anzeige enthalten sein müssen. Danach verlangt die Richtlinie nicht, dass im Zeitpunkt der Erstattung der Anzeige bereits feststehe, welche konkreten Arbeitnehmer entlassen werden. Folglich könnten auf bestimmte Arbeitnehmer bezogene Angaben - wie diejenigen gemäß § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG - auch keine unionsrechtlich gebotene Voraussetzung für die Wirksamkeit der Anzeige sein.

Fristberechnung
Das Bundesarbeitsgericht nutzte außerdem die Gelegenheit, um die korrekte Berechnung der 30-Tages-Frist nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG klarzustellen. Es stellt klar, dass es sich nicht um eine Frist im Sinne der §§ 186 ff. BGB handele, sondern es darum gehe, ob der Arbeitgeber innerhalb eines Zeitraums, der 30 Kalendertage (00:00 Uhr bis 24:00 Uhr) umfasst, eine bestimmte Anzahl von Entlassungen vorgenommen hat.

Das LAG Hessen muss nun unter Berücksichtigung der Entscheidung des BAG neu entscheiden.

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